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Die Kunst der Reparatur: Warum Konflikte nicht das Ende, sondern der Anfang sein können

Konflikte gehören zum Leben. In der Familie, in Partnerschaften, im Job – niemand kommt ohne sie aus. Besonders im Zusammenleben mit Kindern stoßen wir immer wieder an unsere Grenzen. Wir werden laut, sagen Dinge, die wir später bereuen, oder ziehen uns zurück, weil wir überfordert sind. Lange Zeit galt es in vielen Familien als wichtig, solche Situationen schnell hinter sich zu lassen – nach dem Motto „Schwamm drüber“. Doch genau das ist ein Trugschluss.


Die US-amerikanische Psychologin Dr. Becky Kennedy, die unter dem Namen „Dr. Becky“ bekannt wurde, bringt es auf den Punkt: Nicht der Konflikt an sich ist das Problem – sondern die fehlende Reparatur danach. Für sie ist „Reparatur“ die wichtigste Fähigkeit in der Erziehung und in Beziehungen allgemein. Denn sie entscheidet, ob ein Konflikt zu dauerhaften Verletzungen führt oder zu einer tieferen Verbindung.


Warum Reparatur wichtiger ist als ein reibungsloser Alltag


Wir alle machen Fehler. Niemand kann in stressigen Momenten immer gelassen, geduldig und souverän bleiben – weder Eltern noch Partner noch Kollegen. Doch genau in diesen Momenten, in denen wir impulsiv reagieren, liegt eine große Chance. Denn Reparatur bedeutet, nach einem Konflikt Verantwortung zu übernehmen, die Situation anzusprechen und die Beziehung aktiv wieder zu stärken.


Dr. Becky Kennedy erklärt, dass Reparatur im Kern bedeutet, einem anderen Menschen zu zeigen: „Ich sehe dich. Ich nehme wahr, dass ich dich verletzt oder erschreckt habe. Und ich kümmere mich darum.“ Diese Haltung vermittelt nicht nur Sicherheit, sondern auch die Botschaft: „Unsere Beziehung ist stark genug, um auch schwierige Momente zu überstehen.“


Der Weg zur Reparatur: In drei Schritten zu mehr Verbindung


Die Kunst der Reparatur folgt bei Dr. Becky einem klaren, einfachen Ablauf:


1. Selbstberuhigung und Selbstreflexion

Bevor wir reparieren können, müssen wir uns selbst regulieren. Das bedeutet: tief durchatmen, kurz innehalten und uns bewusst machen, dass ein Fehler zwar passiert ist, wir aber trotzdem ein guter Mensch bleiben. Dieser Schritt ist entscheidend, um nicht aus einem impulsiven Schuldgefühl heraus zu reagieren, sondern wirklich präsent zu sein.


2. Verantwortung übernehmen und benennen, was passiert ist

Im zweiten Schritt geht es darum, klar und ehrlich zu sagen, was geschehen ist. Dabei verzichten wir auf Ausreden oder Schuldzuweisungen. Stattdessen benennen wir unser Verhalten und übernehmen Verantwortung. Ein Satz wie „Es tut mir leid, dass ich vorhin laut geworden bin. Das war nicht in Ordnung“ reicht oft schon aus. Noch wichtiger ist, das Gefühl des Gegenübers anzuerkennen, etwa durch: „Ich kann mir vorstellen, dass das für dich beängstigend oder verletzend war.“


3. Ausblick geben und Verbindung stärken

Im letzten Schritt geht es darum, eine Brücke in die Zukunft zu schlagen: „Ich möchte daran arbeiten, beim nächsten Mal ruhiger zu bleiben.“ Dieser Ausblick vermittelt, dass Veränderung möglich ist – und dass der Konflikt nicht das Ende, sondern ein Neubeginn sein kann.


Warum Reparatur so viel bewirkt – gerade für Kinder


Besonders in der Erziehung ist Reparatur eine zentrale Strategie. Kinder haben ein feines Gespür für emotionale Spannungen und beziehen vieles schnell auf sich selbst. Wenn Erwachsene nach einem Streit nicht reparieren, bleiben Kinder häufig mit dem Gefühl zurück, sie seien Schuld am Verhalten ihrer Eltern. Langfristig kann das zu Ängsten, Unsicherheiten und einem brüchigen Selbstwert führen.


Reparatur hingegen zeigt Kindern, dass sie nicht verantwortlich für die Emotionen anderer sind – und dass Beziehungen auch nach schwierigen Momenten sicher bleiben können. Gleichzeitig lernen sie durch das Vorbild der Erwachsenen, selbst Verantwortung zu übernehmen, eigene Fehler zu benennen und aktiv zur Klärung beizutragen. Kurz gesagt: Sie lernen, wie gesunde Beziehungen funktionieren.


Reparatur in allen Beziehungen


Was für Eltern und Kinder gilt, lässt sich auf alle Beziehungen übertragen. Ob in Partnerschaften, Freundschaften oder im beruflichen Umfeld – der Mut zur Reparatur kann Beziehungen nicht nur retten, sondern stärken. Anstatt Konflikte totzuschweigen oder sie mit einem schnellen „Sorry“ abzuhaken, geht es darum, bewusst in die Beziehung zu investieren. Das bedeutet, sich ehrlich zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen und offen zu sagen: „Mir liegt etwas an dir, deshalb spreche ich das an.“


Fazit: Reparatur als Beziehungskompetenz für alle


Reparatur ist keine Technik, die wir irgendwann perfekt beherrschen. Sie ist vielmehr eine Haltung, die wir immer wieder üben dürfen. Sie erfordert Mut, Ehrlichkeit und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Doch wer diesen Weg geht, wird merken: Jeder reparierte Konflikt hinterlässt nicht nur Heilung, sondern auch eine tiefere Verbindung.


Dr. Becky Kennedy bringt es auf den Punkt: „Reparatur ist nicht das Ende eines Problems – sie ist der Moment, in dem Beziehung beginnt.“



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Quellen:


Dr. Becky Kennedy, TED Talk „The Single Most Important Parenting Strategy: Repair“


Interview im New Yorker: „Dr. Becky Kennedy Wants to Help Parents Land the Plane“


Artikel bei Mindgrow: „Raising Resilient Kids: Dr. Becky Kennedy’s Guide to Sturdy Leadership Parenting“


CNN Health: „How to resolve conflict in parenting“

 
 
 

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