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Bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung – eine Haltung, die Kinder stark macht

Von einer Sozialarbeiterin & Traumapädagogin


In einer Welt, die von Leistung, Zeitdruck und Reizüberflutung geprägt ist, geraten die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern oft in den Hintergrund. Dabei zeigt sowohl die neurobiologische Forschung als auch die kindliche Entwicklungspsychologie deutlich: Kinder brauchen Beziehung, um wachsen zu können. Eine bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung ist daher kein Trend – sie ist eine Haltung, die Kinder in ihrer Ganzheitlichkeit sieht, schützt und stärkt.



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Was bedeutet bedürfnisorientierte Erziehung?


Bedürfnisorientierung heißt, das Kind nicht als kleines Wesen zu betrachten, das „funktionieren“ muss, sondern als Mensch mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Grenzen. Es geht nicht um grenzenlose Freiheit oder antiautoritäre Beliebigkeit, sondern um eine achtsame Balance zwischen den kindlichen Bedürfnissen und den Möglichkeiten der Bezugspersonen.


Im Buch „artgerecht – Das andere Baby-Buch“ schreibt Nicola Schmidt:


> „Ein Baby ist kein Tyrann, sondern ein bindungsorientiertes Wesen, das evolutionär darauf angewiesen ist, dass jemand seine Bedürfnisse wahrnimmt und zuverlässig beantwortet.“




Diese Perspektive lässt sich auch auf größere Kinder und Jugendliche übertragen. Ihre Bedürfnisse verändern sich mit dem Alter, aber der Wunsch nach Bindung, Sicherheit, Zugehörigkeit und Resonanz bleibt bestehen.



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Bindung als Basis – Sicherheit schafft Entwicklung


Die Bindungstheorie, u.a. entwickelt von John Bowlby und Mary Ainsworth, bildet die wissenschaftliche Grundlage der bindungsorientierten Erziehung. Sie besagt, dass Kinder eine stabile emotionale Bindung zu mindestens einer verlässlichen Bezugsperson brauchen, um sich gesund entwickeln zu können.


Der Hirnforscher Gerald Hüther betont:


> „Kinder brauchen sichere Bindungen, um zu innerer Stärke zu finden. Ohne diese sichere emotionale Basis kann sich das Gehirn nicht optimal entwickeln.“

(Gerald Hüther, „Was wir sind und was wir sein könnten“)




Bindung ist also kein „weicher“ Faktor, sondern eine Voraussetzung für Resilienz, Lernfähigkeit und soziale Kompetenz. Sie ist das Fundament für Selbstvertrauen und Selbstregulation – zentrale Schutzfaktoren im Umgang mit Stress und Traumata.



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Traumapädagogik: Wenn Bindung Wunden heilt


In meiner Arbeit als Traumapädagogin sehe ich täglich, wie tief das Fehlen sicherer Bindungen Kinder und Jugendliche erschüttern kann. Traumatisierte Kinder haben oft nicht gelernt, dass ihre Bedürfnisse zählen. Sie haben Strategien entwickelt, um zu überleben – nicht, um zu leben.


Die bedürfnis- und bindungsorientierte Haltung ist hier nicht nur hilfreich, sondern essenziell. Sie bietet den jungen Menschen die Erfahrung: „Du bist sicher. Du wirst gesehen. Deine Gefühle sind in Ordnung.“


Das bedeutet in der Praxis:


Co-Regulation statt Strafen


Verstehen statt bewerten


Begleiten statt kontrollieren



Wir dürfen Kindern Halt geben, ohne sie festzuhalten – und Freiheit geben, ohne sie allein zu lassen.



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Alltag statt Ideal – Selbstfürsorge nicht vergessen


Natürlich ist es im Alltag nicht immer leicht, diese Haltung zu leben. Eltern, Fachkräfte und Betreuungspersonen stoßen an ihre Grenzen. Bedürfnisorientierung bedeutet eben nicht, sich selbst aufzugeben, sondern auch die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Nur wer selbst innerlich sicher ist, kann Sicherheit geben.


Wie sagt Gerald Hüther so treffend?


> „Es geht nicht darum, Kinder zu erziehen, sondern sie zu begleiten – und dabei selbst der Mensch zu werden, der man gerne sein möchte.“





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Fazit


Bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung ist eine Einladung – an Kinder und Erwachsene. Sie lädt uns ein, hinzusehen, zu fühlen, präsent zu sein. Sie basiert auf Beziehung, nicht auf Macht. Auf Verbindung, nicht auf Kontrolle. Und sie gibt Kindern das größte Geschenk, das wir ihnen machen können: das sichere Gefühl, geliebt und angenommen zu sein – so, wie sie sind.



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Literaturtipps:


Nicola Schmidt: artgerecht – Das andere Baby-Buch, Kösel-Verlag


Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten, Fischer Verlag


Jesper Juul: Dein kompetentes Kind


Katharina Saalfrank: Was unsere Kinder brauchen


 
 
 

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